Mir fehlt mein Gegenüber.
Seit Wochen produziere ich Andachten, Texte, Abendgebete, kleine Filme, Grußbotschaften, telefoniere…
Mir fehlt mein Gegenüber!
Ein Gesicht, ein Stirnrunzeln, ein Lächeln, fröhlich, traurig, müde, wach. Die Kontroverse.
Eine Berührung.
Mir fehlt der Gottesdienst zusammen mit anderen Menschen: Gottes Wort verkosten, beten, singen, schweigen.
Mir fehlt es schon lange Abendmahl zu feiern, mit anderen Menschen Brot und Saft zu teilen, zu schmecken. Am Ende einen Händedruck zu spüren. Ich glaube nicht allein.
Mir fehlt mein Gegenüber!
Mir fehlt es, auf mein: „Der Herr sei mit euch!“ ein tröstliches „Und mit deinem Geist“ zu hören. Die Reaktion auf meine Worte: Der scheinbar unbeobachtete Blick auf die Uhr und das Blättern im Gesangbuch, wenn ich zu lange rede, geschlossene Augen, ein kritischer Blick. Oder ein Lachen, das ich herausfordern wollte. Manchmal bekomme ich es, aber wer glaubt schon, in der Sache mit Gott lachen zu dürfen.
Das Lachen der Konfirmanden und der Geruch nach Kerze
Mir fehlt Frau P., die vor dem Gottesdienst immer noch an meinen Talar zuppelt und das letzte Staubkörnchen herunterpustet. Frau M., die immer schon ein bisschen eher kommt, sich ihren Platz sucht und nach einer langen schlecht geschlafenen Nacht erst einmal die Augen schließt. Mir fehlt das Lachen und leise Reden der Konfirmanden. Der Mann, der sich einfach nur mal die Kirche anschauen wollte und erschrocken merkt, dass er mitten in einem Gottesdienst gelandet ist: „Wenn Sie mögen, bleiben Sie… für immer, nur einen Moment. Mir fehlt Herr S., sein Wut auf Gott und die Welt und die Kirche im besonderen. Mir fehlt das gemeinsame Singen, so sehr, dass es schon wehtut. Das Knarzen unserer Orgel, ein schiefer Ton, nicht digitalisiert-glatt. Selbst der Geruch nach Kerze, Kälte, Staub und Narzisse fehlt mir.
Im Segen verbunden…
Verbunden bleiben… auch mit Gott
Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so fehlt. Dass Ihr mir so fehlt. Corona, was machst du nur mit uns? Und dabei geht’s mir gut. Ich bin gesund.
Mir fehlt mein Gegenüber. Sichtbar, erkennbar, berührbar.
Dabei übe ich das doch jeden Tag ein – im Gebet.
Ich kenn´ das doch mit dir, Gott!
Ich spüre, du bist da.
Aber dich würde ich ab und an auch ganz gerne mal in den Arm nehmen.
Und all meine Fragen stellen, über dich und die Welt und Corona. Und nicht immer so zeitverzögerte und ewigkeitsrelevante Antworten erhalten. Mir reicht doch das eine oder andere kleine Ich-bin-da-Zeichen, eine sachte Berührung.
Und während ich dies schreibe, klingelt es an der Tür: Draußen steht unser Freund Stefan, wedelt mit den Händen und zeigt auf einen großen Karton aus einem Braunschweiger Café. Er stellt ihn vor die Tür, legt seine Hand von außen an die Glasscheibe, ich von innen, steigt ins Auto und verschwindet wieder. Wir öffnen den Karton: Eine super-leckere Käse-Sahnetorte und ein Kärtchen: „Nach der Krise wird gefeiert! Wir vermissen und umarmen euch!“ Du bist verrückt, Gott, so wunderbar verrückt.