„Corona beschert Radläden eine Umsatz-Explosion von mehr als 50 Prozent“, lese ich in der Zeitung. “Die Kunden sind im Kaufrausch”, stellt ein Händler fest. Allein um Ostern herum habe er “im Laden und Online eine komplette Lkw-Ladung Kinderräder verkauft“. “Was hat das mit dem Glauben zu tun?”, fragen Sie sich jetzt vielleicht. Lassen Sie es mich mit einer ganz besonderen Frau erklären….
Hineinwerfen in den Schwung der Liebe
Man sah sie fast nur mit dem Fahrrad, die französische Sozialarbeiterin Madeleine Delbrel.
Als junge Frau verstand sie sich als entschiedene Atheistin. „Gott ist tot! Es lebe der Tod!“, war damals das Motto der hochbegabten Studentin an der Sorbonne. Ihre Gedichte erhielten einen berühmten Literaturpreis. Mit zwanzig kommt es durch Begegnungen zu einer Lebenswende: „Ich konnte nicht mehr so tun, als ob es Gott nicht gäbe.“ Betend und nachdenkend findet sie immer mehr zu ihm.
Nach ihrem Tod findet man in ihrem Gebetbüchlein einen Zettel mit dem Datum ihrer Bekehrung und dem Satz:
„Ich will das, was du willst, Gott, ohne mich zu fragen, ob ich es kann. Ohne mich zu fragen, ob ich Lust darauf habe. Ohne mich zu fragen, ob ich es will.“
Sie wurde Sozialarbeiterin in Ivry, einem Vorort von Paris,
damals die Hochburg der französischen Kommunisten. Dort in einem durch und durch antichristlichen Milieu kümmert sie sich um die Industrie-Arbeiter und ihre Familien. Ihr ganzes Leben lang hat Madeleine Delbrêl diesen Gottesfund als ein umwerfendes Glück erfahren und beschrieben. Sie war ganz hingerissen davon.
Mit Schwung voran – und einem Gedicht
Und sie schreibt ein Gedicht. Fahrrad-Spiritualität hat die leidenschaftliche Radlerin es genannt:
„Immer weiter!“, sagt du zu uns, Gott.
Um die Richtung auf dich zu behalten,
Müssen wir immer weitergehen,
Selbst wenn unsere Trägheit verweilen möchte.
„Du hast dir für uns, Gott,
ein seltsames Gleichgewicht ausgedacht,
ein Gleichgewicht,
in das man nicht hineinkommt
und das man nicht halten kann,
es sei denn in der Bewegung,
im schwungvollen Voran!“
Es ist wie mit einem Fahrrad,
Das sich nur aufrecht hält, wenn es fährt;
Ein Fahrrad, das schief an der Wand lehnt,
Bis man sich darauf schwingt
Und schnell auf der Strasse davonbraust.
Die Zeit, in der wir leben,
ist gekennzeichnet von einem allgemeinen,
schwindelerregenden Ungleichgewicht.
sobald wir uns hinsetzen,
um es zu betrachten, kippt es und entgleitet uns.
Wir können uns nur aufrecht halten,
Wenn wir weitergehen, – fahren,
wenn wir uns hineinwerfen in den Schwung der Liebe.
„Ich glaube auch jetzt nicht an Gott, aber wenn es ihn gibt, trägt er die Züge von Madeleine“, so formulierte es der kommunistische Bürgermeister von Ivry bei ihrer Beerdigung. Mit dem Leben ist es wie beim Fahrradfahrn: Leben und Glauben im Schwung der Liebe, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Das finde ich schön! Und Sie?
Bleiben Sie behütet,
Ihre Inka Baumann, Gutspfarrerin
Vielleicht als Urlaubs-Lektüre:
Madeleine Delbrel, Deine Augen in unseren Augen: Die Mystik der Leute von der Straße. Ein Lesebuch, 2014